!MARCS young electronic magazine
AUSGABE: März 2003


Rubrik: STUFF

SONSTIGE: Kitsch entspannt

Kitsch, von seriösen Kritikern und Künstlern belächelt, von andern geliebt und gesammelt. Was hat es mit dem Kitsch denn so auf sich? Eine kurze Betrachtung dazu.


Frau Meyer warf einen kurzen Blick auf meine gerade erworbenen Gobelindeckchen. "Das ist aber Kitsch!", meinte sie. Ich erschrak, mir gefielen sie. Bunte Blumen, aus einer Gießkanne quellend, ein Randornament. Über ein anderes Deckchen verteilt weitere Blumen, sehr farbig, ein Mädchen mit gelbem Strohhut in der Mitte. Lustig anzusehen. Frau Meyer ist Designerin. Wie sollte ich meinen heruntergekommen Geschmack rechtfertigen! Im Duden fand ich unter Kitsch: "Kitsch=Schmieren, der Kitsch ist etwas Geschmiertes, aus einem bestimmten Kunstverständnis heraus als geschmacklos Empfundenes. Die Grenzen sind fließend." Ich war getröstet, ich bewegte mich also im Grenzbereich. Meine Gedanken gingen zurück in die Zeit meiner Jugend.

Damals war ich streng zu mir gewesen. Das Wohnzimmer mit weißen Tapeten, die Möbel sparsam verteilt, gradlinig, keine Dackelbeine, wenig Bilder, keine Fotos, viel Licht. "Man friert bei Ihnen!", sagte eine Dame und zog die Schultern ein. Es war im Raum warm genug. Ich suchte jetzt Mitschuldige.

Frau Müller berichtete mir über ein Barockkonzert. Und am Schluss spielte der Organist die Melodie "Guten Abend, gute Nacht", ein bissschen kitschig, aber das sei doch von Mozart, meinte ich. Frau Müller glaubte, es sei aus des Knaben Wunderhorn oder dem Zupfgeigenhansel. Nachgeschlagen! Es ist von Brahms.

Erinnerungsfetzen - der Lyriker Karl Krolow besprach ein schmales Gedichtbändchen von Gottfried Benn. Er wies dabei auf das "zuviel Gefühl" hin, nein das Wort Kitsch nannte er nicht. Nun sind beide schon eine Weile tot und ihre Werke leben weiter.

Der Speyerer Maler Hans Purrmann leitete in Paris mit dem französischen Maler Henri Matisse eine Malerakademie. Purmann konnte für seinen Freund Matisse eine Ausstellung in Berlin arrangieren. Es war die Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Der Maler Max Liebermann und der Kunsthändler Paul Cassirer in Berlin kritisierten die Werke von Matisse so herunter, dass sie nach wenigen Tagen abgehängt werden mussten. Auch Matisse wurde berühmt. Der Professor für Philologie Walther Killy schrieb ein Büchlein "Deutscher Kitsch", letzte und achte Auflage 1978. Er wäre jetzt in meinem Alter (geboren 1817). Von vielen Schriftstellern unserer Jugend führt er Beispiele von Kitsch an, selbst Ernst Wiechert und Rudolf G. Binding sollen Kitsch geschrieben haben. Auch Gerhard Hauptmann wird ausgewählt zitiert. Die Anhäufung von Eigenschaftswörtern fällt auf. "Der sachliche Gehalt ist weniger wichtig als die sogenannte Stimmung. Der lyrisierende Ton, die Autoren haben, jeder auf seine Weise, alles darauf angelegt, ihm die Vibration zu erhalten."

Ich frage mich natürlich, wann ist eine Stimmung Kitsch? Gibt es für Stimmung und Sinngehalt so eine Art goldenen Schnitt? Die Unterscheidung von E- und U-Literatur wird nicht mehr diskutiert. Ein langweiliger E-Roman muss nicht eine gute Literatur sein. Herbert Heckmann hat darüber geschrieben.

Als junger Mann habe ich die Reste des Jugendstils noch kennen gelernt. Diese wuchernden Pflanzen, die sich windenden Linien, wir empfanden sie als Kitsch. Nun habe ich auf einer Kommode eine Jugendstilvase stehen. An einem hohlen Baumstamm lehnt eine junge frau und spielt dabei Harfe. Die Farben sind matt und mit ein paar Goldtupfern aufgelockert. Daneben stehen zwei Kerzenhalter in Form einer Schale mit Griff, in deren Mitte ein Mädchen sitzt, die Kerzenhalterung im Rücken. Die Signatur stammt von einem Künstler namens Ernst Wahliss, Bohemia Wien 1900.

Und etwas ganz Schlimmes muss ich erwähnen: bei den Jugendstildamen auf der Kommode steht noch eine Porzellanfigur, die ich die "große Mutter" nenne. Sie ist dreissig Zentimeter groß und vielfarbig bemalt. Eine sehr weite Krinoline bauscht die untere Partie auf, darüber ein Mieder mit schwarzen Schnüren. Das Köpfchen hat blonde Haare, auf denen ein kleiner Strohhut sitzt. Das Gesicht ist ein Katzengesicht mit schrägstehenden Augen und einer kleinen rosa Stubsnase, unter der sechs schwarze Schnurrbarthaare wachsen. Den oberen Teil der Figur kann man abnehmen. Dann ist sie eine Keksdose. Das ist nun wirklich Kitsch, aber so, dass ich immer lachen muss, wenn ich sie ansehe. Kitsch kann entspannen.

Autor: heinz danner
Erstellt am: 2003-02-28