STUFF: Dezember 2001  
















!MARCS young electronic magazine lebt von eurer Unterstützung! Schreibt uns eure Ideen und Gedanken! Schreibt uns eure Kritik und empfehlt uns weiter!

Eure !MARCS Redaktion
REPORTAGE: AM NABEL INDIENS mohan: 2001-11-20

Druckversion
XXL-Version

Indiens geographische Mitte liegt in Nagpur, so haben es jedenfalls die Briten festgelegt, als sie in Indien regierten. Von hier aus haben sie Indien vermessen, heute steht an der Stelle eine Steinsäule, die zero mile. Während der britischen Kolonialherrschaft war Nagpur zudem Hauptstadt der Central Provinces. Dies macht sich noch heute im Stadtbild bemerkbar, es gibt zahlreiche Repräsentationsbauten im typisch indisch-britischen Stil.


Heute ist Nagpur keine Hauptstadt mehr, mit Ausnahme von zwei Wochen. Dann ist die Stadt Winterhauptstadt des Bundesstaats Maharashtra. Die gesamte Regierung und alle Abgeordneten ziehen nach Nagpur um. Ihre Unterkünfte stehen die restliche Zeit vom Jahr mit Ausnahme eines Kongresshotels leer. Damit will die Regierung verhindern, dass sich der östliche Teil von Maharashtra abspaltet. Denn die Hauptstadt und das Wirtschaftszentrum ist Mumbai (früher Bombay) und liegt am "anderen Ende" des Bundesstaats.

Nach Aussage des Lonely Planet gibt es in Nagpur eigentlich wenig zu sehen, dies kann ich aber nicht bestätigen. Hier gibt es sehr viel zu sehen, aber es kommen kaum Touristen her. Dadurch hat die Stadt aber ihren indischen Charakter bewahrt. Die Menschen sind freundlich, man wird neugierig betrachtet. Man fällt zwar als Europäer auf, aber wird nicht so stark von Händlern belagert. Bei meinen Erkundungen in Nagpur, bei denen ich meist alleine unterwegs war, wurde ich jedenfalls nicht wie ein Mensch aus einer anderen Welt behandelt. Ich kam recht schnell ins Gespräch. Und wenn man sich so wie ich noch besonders für etwas interssiert, dann zeigen die Inder einem das ganz stolz und fangen an zu erzählen. Dabei habe ich stets interessante Dinge erfahren und erlebt. Ich kann nur jedem raten, falls er sich nach Indien verirrt, einfach mal so ohne genaues Ziel durch die Straßen zu laufen und abzuwarten, was so alles passiert. Da könnt Ihr die tollsten Sachen erleben, die dem Pauschalreisenden (all inclusive, am besten so wie zu Hause) verborgen bleiben.

Noch ein paar Worte zu dem typischen Fragen am Anfang eines Gesprächs: "What's your name? Where do you come from? How do you like India?" Dies könnt Ihr manchmal mehrmals hintereinander am Tag gefragt werden. Dabei solltet Ihr immer freundlich bleiben.

Was bringt mich aber nun ausgerechnet nach Nagpur, wo es eigentlich wenig zu sehen gibt und Indien ja eigentlich voll von Sehenswürdigkeiten ist? Ganz einfach, weil ich bei dieser Reise nicht nur zum Land und Leute kennenlernen, sondern auch zum Arbeiten nach Indien gekommen war. Ja richtig gelesen, wir haben gearbeitet und das im Urlaub. Auch manche Inder haben uns komisch angesehen. Da kommen die in ihren Augen "reichen" Europäer nach Indien und was tun sie hier arbeiten. Haben die nichts besseres vor? Das Workcamp wurde vom Ecumenical Sangam durchgeführt und der hat seinen Sitz eben in Nagpur. Aber zum Workcamp schreibe ich in einem extra Artikel, sonst wird das ganze hier zu lang.

Zurück zu Nagpur, auffällig waren zunächst die vielen Baustellen. So ziemlich alle Straßen wurden verbreitert. Damit sollen sie später mit dem wachsenden Verkehr fertig werden. Die Arbeit wird fast ohne Maschinen gemacht. Da unsere Unterkunft im reicheren Teil der Stadt lag, war die Gegend sehr grün und es gab einige Villen. Aber nicht weit weg in Richtung der Geschäftsstraßen waren einige Wanderarbeiter, die am Straßenrand in Zelten lebten, gerade mit dem nötigsten ausgestattet. Meist waren es Handwerker, die Statuen von Ganesh, dem Gott mit dem Elefantenkopf, der mit einer Gemütsruhe alle Probleme aus dem Weg räumt, anfertigten. Denn wir waren zum Zeitpunkt des Ganesh Chaturthi, des Geburtstags von Ganesh in Nagpur. Und dieses Fest dauert zehn Tage und wird groß gefeiert, doch dazu später noch mehr.

Die Geschschäftstraßen in Indien sind meist gesäumt von unzähligen kleinen Läden. In manchen Straßen gibt es auch noch Bretterverschläge, in denen Leute ihre Waren anbieten. Das Angebot bietet alles, Lebensmittel, Kleider, Schuhe, Musik, Alkohol, Bücher usw. Die Läden sind meist klein und voll von Leuten. Es geht eng zu, aber das ist in Indien normal, unter Platzangst darf man nicht leiden. Das besondere an den Läden ist jedoch, dass man bei machen um den Preis feilschen muss oder sollte. Mir hat sich nur manchmal die Frage gestellt, wie denn die ganzen Läden sich überhaupt tragen können. Bei den ganzen Läden mit ihrer Werbung kann ein kleiner schon mal "untergehen". Wahrscheinlich leben sie von ihrer Stammkundschaft. Und mache Läden sehen von außen etwas heruntergekommen aus, aber haben ein umfangreiches Warenangebot im Innern.

Gehören die Läden und Cafes als Treffpunkte zum Leben der erwachsenen Inder, so sind es für junge Menschen die Kinos. Sie sind in Indien sehr beliebt und die Vorstellungen meist ausverkauft. Das Kino stellt für die Jugendlichen eines der wenigen Freizeitvergnügen dar, Discos sind selten und meist teuer. Dabei werden meist indische Filme in Hindi gezeigt, die etwa drei Stunden dauern und deren Handlung meist Liebesgeschichten sind. Wir wollten das Erlebnis Kino hautnah erleben und besuchten den Film "Dil Chaita Hai" (Was das Herz begehrt). Da der Film gerade anlief und sehr beliebt war, war der Andrang vor dem Kino recht groß. Wie vieles in Indien fing der Film später an (ca. zwei Stunden). Vor der Kino erlebten wir tumultartige Szenen, das für mich etwas neues, so etwas hatte ich auf meinen früheren Indienreisen noch nicht erlebt. Alle wollten rein und manche waren wohl etwas sauer, dass wir die "reichen" Europäer früher rei! nkamen, obwohl wir vom Film, da in Hindi, nicht viel verstehen werden. Das mag schon stimmen, aber wir kamen trotzdem recht gut mit. Denn die Handlung war nicht sehr schwierig. Drei Freunde geraten in Streit als einer sich in eine ältere Frau verliebt. Aber am Schluss hat jeder seine Frau und sie sind wieder versöhnt.

Wie gesagt, für Jugendliche gibt es in Indien wenig Freizeitmöglichkeiten. Da kommt es gerade recht, dass Ganesh Chaturthi recht ausgelassen gefeiert wird. Zu Beginn des Festes wird eine Statue von Ganesh auf einem LKW zu einer Bühne oder einem provisorischen Tempel gebracht. Diese sind über die ganze Stadt verteilt. Auch gegenüber unserer Unterkunft war in einem Innenhof eine solche Bühne. Die Ganesh Statue wurde gefolgt von einer Trommelgruppe in den Hof gebracht und aufgestellt. Dabei ging es richtig ab. Die Trommler waren total in Extase, der Rhythmus erinnerte stark an Samba und trieb die Leute zum Mittanzen an. Auch wir Europäer wurden eingeladen mitzutanzen. Die Menschen hatten keine Probleme, das wir als Nichthindus an ihren religiösen Festen teilnahmen, ein typisches Beispiel für die Toleranz er Hindus. Und bei dem Tanz war richtig Stimmung, vor allem die Jugendlichen tanzten sich in Extase.

An den nächsten Abenden war meist eine Art Disco angesagt. Ein DJ spielte aktuelle Musik (Hindipop, Charthits aus Europa und Reggae), dazwischen wurde Ganesh angerufen. Auch hier war die Stimmung sehr gut und wir durften mitmachen. Irgendwie schon komisch, ein religiöses Fest verbunden mit eher "weltlichen" Dingen wie einer Disco. Doch nach zehn Tagen ist Schluss, jetzt wurden die Ganesh Statuen in einer Prozession zu einem See gebracht und dort versenkt. Begleitet wurde der Zug wieder von einer Trommlergruppe. Teilweise war auch eine Blaskapelle oder eine Tänzergruppe dabei. Aber immer waren die Menschen in Extase. Ich habe dies zweimal hautnah erlebt und war mittendrin im Geschehen. Da ging es schon eng zu und manche scheinten wohl auch etwas geraucht oder getrunken zu haben. Ich fand das jedenfalls eine tolles Erlebnis, mittendrin in einer Prozession, das war Indien pur.

Noch etwas will ich erwähnen. Bei den Prozessionen warfen vor allem die Kinder und Jugendlichen mit Sandfarben um sich. Entsprechend sahen mache von oben bis unten mit Farbe verschmiert aus. Auch mich hat es zweimal erwischt, einmal war es orange, das andere mal violett. Aber das hat mir eigentlich nichts ausgemacht, die Farbe ging problemlos raus und außerdem sei sie ja die "colour of joy", wie ein Student mir sagte.

Und damit bin ich auch schon am Ende meiner Ausführungen über Nagpur. Mehr zu Indien gibt es in weiteren Artikeln, da ich zu diesem faszinierenden Land Indien noch viel mehr schreiben kann. Ich weiß gar nicht, wo ich aufören soll. Wer mehr wissen will muss sich entweder gedulden bis wieder ein neuer Artikel erscheint oder kann mir auch schreiben.



Weitere Artikel von mohan
Autorenbeschreibung von mohan


JAM | STUFF | NUTS
home | this month | guestbook | forum | archive | search
impressum | links | shop
 
ARCHIVE: ARTIKEL VON MOHAN
REPORTAGE
EINE SäULE, EIN BRUNNEN, VIELE LICHTER, EINE KIRCHE

Wie kaum ein anderer Ort ist dieser Platz mit der jüngeren deutschen Geschichte verbunden. Die Rede ist hier vom Nikolaikirchhof in Leipzig.

ARCHIVE: ARTIKEL VON MOHAN
REPORTAGE
DIE IM DUNKELN SIEHT MAN NICHT

Viele Fußgängerzonen sind aufpolierte Hochglanzpassagen für den modernen Konsumenten von heute. Nichts soll den Einkaufsbummel trüben. Doch manches mag da nicht so recht ins Bild passen.

ARCHIVE: ARTIKEL VON MOHAN
REPORTAGE
DIE GESCHICHTE DER MOORSOLDATEN

"Die Moorsoldaten" ist das wohl bekannteste Widerstandslied aus dem Dritten Reich, das 1933 im Konzentrationslager Bürgermoor enstand. Es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und ging um die ganze Welt. Das amerikanische Radio Goethe erzählt seine Geschichte.

ARCHIVE: WEITERE ARTIKEL
Alle Artikel von mohan findest du hier.
 

© 1997 - 2024
!MARCS

electronic magazine

driven by
IBM RS/6000
and apache

Mit ICRA
gekenn-
zeichnet