JAM: Oktober 2004  
















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REPORTAGE: KOPFSTEINPFLASTER UND LEERE - EINDRüCKE EINER DRESDENREISE mohan: 2004-09-25

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Neulich war ich im Elbflorenz Dresden. Doch allzuviel ist davon nicht mehr übrig. Aber trotzdem konnte ich viel in Dresden entdecken. Eine kleine Entdeckungsreise im Osten zwischen Sozialismus, Barock und Moderne.


Ein Freund von mir wohnt in Dresden und da bot es sich an ihn mal wieder zu besuchen. Dresden kannte ich bisher auch nur von Bildern, vor allem als Elbflorenz und durch die fast totale Zerstörung durch anglo-amerikanische Bomberangriffe am 13. Februar 1945. In jüngerer Zeit stand öfter noch der Wiederaufbau der Frauenkirche in der Presse. Also nichts wie hin und die Stadt erkunden. Denn viel mehr als das Klische "Elbflorenz" oder "das Tal der Ahnungslosen" kannte ich von Dresden noch nicht. Letztere Aussage ist von der Bedeutung der Abkürzung ARD in der DDR abgeleitet, außer Raum Dresden. Denn wegen der Tallage der Stadt konnten die Menschen hier als einzige DDR Bürger keine Westmedien empfangen.

Als ich am Bahnhof ausstieg, machte ich mit der ersten Eigenschaft der Dresdner Altstadt Bekanntschaft, der Leere. Sie blieb vom Bomberangriff übrig. Weiterhin sah ich viele zweckmäßige Neubauten, die anstelle der alten, architektonisch ansprechenderen errichtet wurden. In einer alten Ost-Straßenbahn fuhr ich dann zur Wohnung meines Freundes. Die Eindrücke verstärkten sich. An mir zog viel Leere vorbei, dazwischen viele Neubauten und einige schöne Altbauten. Beim Überqueren der Elbe sah ich zum ersten Mal die Schokoladenseite der Stadt in Real.

Die Wohnung lag in einem ruhigen Viertel mit vielen renovierten Altbauten. Hier sind nur wenige Bomben eingeschlagen. Sichtbarstes Zeichen des Krieges war die Ruine der neugotischen St. Pauli Kirche, die heute für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird. Doch noch waren nicht alle Häuser "auf Vordermann gebracht". Einigen sah ich den Verfall noch gut an, Putz bröckelte, Fenster waren eingeschlagen und das Erdgeschoß mit Plakaten beklebt. Hier war ich wohl in einer Wohngegend mit vielen Alternativen, Linken und Studenten. Als Bestätigung liefen mir gleich zwei Punks über den Weg. Ja das war doch die richtige Umgebung für mich. Die Ausgangsbasis für den Dresdenbesuch war schon mal gut.

Mein erster Rundweg führte mich durch die Neustadt. Hier stand noch viel alte Substanz. In einer Straße waren schöne rennovierte Barockhäuser. Doch auch DDR Platte mischte sich dazwischen. Ganz spurlos sind die Bomberangriffe hier doch nicht vorrüber gezogen. Einige Gebäude sind doch verschwunden. Vom Turm der Dreikönigskirche hatte ich einen guten Überblick über die Neustadt. In der Ferne sah ich die Turmsilhouette der Altstadt mit Rathausturm, Frauenkirche, Kreuzkirche, Ständehaus, Schlosskirche und Schlossturm. Abends liefen wir durch das Kneipenviertel der Neustadt. Schon erstaunlich, wie viele Kneipen, Bistros und Clubs es da gab. Eingebettet waren sie in schöne gründerzeitliche Häuser. Auch hier hat der Krieg noch einiges übrig gelassen.

Ein weiterer Rundweg führte mich in die Altstadt bzw. das, was davon noch übrig ist. Zunächst stieg ich an der Semper Oper aus der Straßenbahn aus. Jetzt war ich im touristischen Herz. Entsprechend liefen viele Touristengruppen über den Platz, die obligatorischen Japaner durften ebenfalls nicht fehlen. Hier war das alte Elbflorenz noch spürbar. Nach dem Besuch der Schlosskirche ging ich am Schloss vorbei zum Zwinger. Er wurde gerade von Hochwasserschäden befreit. Nach diesem architektonischen Höhepunkt ging ich zwischen Schloss und barockem Taschenbergpalais zu einem eher Tiefpunkt, dem sozialistischen Kulturpalast. Dies war ein typischer Repräsentationsbau aus DDR Zeit. Sogar ein zeittypisches Gemälde war erhalten. Die DDR lebt eben noch weiter. Umgeben war er von einem riesigen freien Platz, der früher einmal dicht bebaut war und gab den Blick auf die Frauenkirche frei.

Diese ist wirklich sehr beeindruckend. Von außen war sie mittlerweile wieder in voller Größe erstanden. Dresden hatte sein Wahrzeichen wieder erhalten. Ihrem Äußeren sah man sehr gut die Zerstörung an. Die alten wiederwerwendeten Steine waren deutlich dunkler als die neuen. Doch der Platz um die Frauenkirche, der Neumarkt, war äußerst unattratktiv, eine wüste Brachfläche. Also wirklich keine ansprechende Umgebung für die Barockkirche. Aber das soll ja alles anders werden. Alte Gebäude sollen wieder erstehen. Zumindest will es ein Verein so. Auch die Vertreter gesichtloser moderner Architektur haben Pläne für die Gestaltung.

In der Wilsdrufer Straße war ich wieder in der DDR. Die Stadt sollte ja nach der Zerstörung als sozialistische Großstadt neu aufgebaut werden. Was sich die Verantwortlichen so darunter vorstellten, konnte ich eben hier sehen. Ohne Rücksicht auf den alten Stadtplan wurden hier neue Häuserzeilen hochgezogen. Die sechs stöckigen Neubauten mit einem Arkadengang im Erdgeschoß ahmten den Barockstil nach und bildeten den Rahhmen der sozialistischen Magistrale. Der Altmarkt wurde ebenfalls von solch stalinistischen Gebäuden gesäumt. Von der alten Bebauung war nur die Kreuzkirche übrig. Der Platz war erheblich größer wie früher und wirkte ziemlich leer. Am Kopfende sah ich wieder den Kulturpalast. Dieser Platz und die Wilsdrufer Straße verschafften einen Eindruck, was man sich unter sozialistischer Großstadt vorgestellt hatte. Da in Dresden so ziemlich alles zerstört war, konnten die Stadtherren problemlos die Stadt neu aufbauen. Rücksicht auf Altbauten musste man nicht nehmen.

Dies taten die Verantwortlichen auch sonst nur sehr wenig. Allein Zwinger und Schlosskirche wurden schnell wieder aufgebaut. Bei anderen Gebäuden hatte man es nicht so eilig. Eine Schlossruine oder ein verfallenes Adelspalais war der sozialistischen Öffentlichkeit durchaus zuzumuten. Die meisten Kirchen in der Altstadt hat man trotz manchmal heftigem Bürgerprotest gleich abgerissen. Ein atheistischer Stadt brauchte sie ja auch nicht. Allerdings sind nach der Wende nicht nur die schönen alten Häuser wieder hergerichtet worden, auch gesichtslose Zweckbauten wurden hochgezogen.

An der Brühlschen Terrasse tauchte ich noch einmal in das Flair des Elbflorenz ein. Hier reihen sich Barockgebäude und Neobarockgebäude aneinander wie Albertinum, Kunstakademie oder Sekundogarnitur. Die charakteristische gläserne Kuppel der Kunstakademie wird im Volksmund wegen ihres Äußeren gerne Zitronenpresse genannt. Sie musste auch bis nach der Wende auf Wiederherstellung warten. Unter der Terrasse waren Reste der Festung Dresden aus der Renaissance- und Barockzeit. Erhalten haben sich zwei Kanonenhöfe, Wachstuben, Kasematten und ein Stadttor aus dem 16. Jahrhundert. Dieser Ausflug in eine eher unbekannte Seite Dresdens war äußerst aufschlussreich.

So jetzt bin ich am Ende meiner ersten Eindrücke aus Dresden. Die Stadt ist sehr abwechslungsreich und ist weit mehr als nur das barocke Elbflorenz. Auch der sozialistische Wiederaufbau prägt das Erscheinungsbild. Komme ich noch einmal auf den Titel zurück. Ich denke die Leere habe ich ausreichend dargestellt, komme ich jetzt zum Kopfsteinpflaster. Viele Straßen sind damit gepflastert. Asphaltierte Straßen habe ich in der Altstadt und den Vorstädten mit Ausnahme der großen Hauptverkehrsstraßen keine gesehen. Wer jetzt Lust bekommen hat, auch mal in den Osten zu fahren, nur zu es lohnt sich. Eine Warnung sei mir jedoch erlaubt. Wer nur das Elbflorenz erwartet, der wird vielleicht enttäuscht sein. Allzu viele Gebäude stehen nicht mehr. Wer auch andere Facetten der Stadt kennenlernen will, der wird viel erleben. Besonders in der Neustadt lohnt sich ein Bummel durch die Straßen.

Zum Schluss zeige ich euch noch einige meiner Eindrücke von Dresden:



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