!MARCS young electronic magazine
AUSGABE: April 2003

URL: http://marcs-online.de/scripts-l1/fokus.phtml?ausgabe=2003-04-01&id=775


Rubrik: JAM

MUSIKTIPP: Dokumente einer einzigartigen Kultur

Sardinien - Heimat einer Musikkultur fernab von der "Soft-Macho-Schmuse"-Schublade Italiens: Die Tradition der Tenor-Chöre.


Anbei möchte ich euch eine Musikkultur vorstellen, die ich bis vor Kurzem selber nicht kannte, die mich jedoch von Anfang an sehr beeindruckt hat.

Bei einem Sardinienurlaub fand ich zufällig eine Audio-Kassette am Straßenrand, die mit einer Musik bespielt war, die ich überhaupt nicht zuordnen konnte. Sie passte keineswegs in gängige Schubladen; schon garnicht in die der italienische "Soft-Macho-Schmuse"-Art.

Nach weiterem Umschauen in kleinen CD-Geschäften kam ich dann dieser einzigartigen Kultur der "Tenöre" näher, von der ich euch nun berichten möchte.

Die Tradition der Tenor-Chöre in Sardinien ist an die tausend Jahre alt. Es gibt diese einzigartigen Vokalgruppen in vielen sardischen Orten.

Diese Kultur war einst vom Aussterben bedroht, seit einigen Jahren haben sich jedoch wieder vermehrt Einheimische und fremde Musiker der alten Traditionen erinnert und den Chorgesang zu neuem Leben verholfen.

Der sardische Ort Orgosolo gilt als Ursprungsstätte der Renaissance des Chorgesangs. Dort entstanden in den 1960er Jahren die ersten Chöre. Und Sardinien wäre nicht Sardinien, wenn die aufkeimende Chor-Kultur nicht einen politischen Charakter hätte: Die armen Inselbewohner fühlen sich seit jeher von der italienischen Zentralregierung einerseits gegängelt, andererseits vernachlässigt, und wehren sich immer wieder gegen allzu rigide Vorschriften.

Orgosolo gilt als eines der Zentren einer Regionalkultur, die bewusst anarchistische Züge trägt. Zahlreiche und liebevoll gepflegte Wandmalereien, genannt "murales", zeugen vom Aufbegehren der Einwohner und ihrem Protest gegen unfähige Bürokraten und Politiker.

Die gesungenen Stücke handeln nicht nur, wie man wegen des "Obertongesangs" vermuten könnte, von Religion. Oft handeln sie von ganz "nahen" Themen wie der Umwelt und der Emigration, Drogen und Ghettoisierung, Brandstiftern, der Zerstörung der Strände und der Anklage von Machtmissbrauch, von Frieden und Gewalt, Alter, Liebe und der Schönheit der Natur.

Hörprobe (mp3)



Autor: spilo
Erstellt am: 2003-04-01



!MARCS
young electronic magazine
© 1997 - 2024

Das Copyright dieses Artikels liegt, wenn nicht anders angegeben, beim Verlag oder beim Autor. Nachdruck, Vervielfältigung und elektronische Speicherung bitte anfragen.

kontakt@marcs-online.de