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AUSGABE: Mai 2002

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Rubrik: JAM

SERIE: Alte Gemäuer

In dieser Ausgabe unserer Serie "Alte Gemäuer" geht es um die Thingstätte auf dem Heiligenberg bei Heidelberg.


Diesmal stelle ich euch ein nicht ganz so altes Gemäuer vor, das 1934/35 errichtete wurde, die Thingstätte auf dem Heiligenberg bei Heidelberg. Heute wird sie meist für Open Air Konzerte verwendet. Die Anhänger alter Kulte (Kelten, Germanen, Naturkulte usw.) nutzen die Thingstätte in der Walpurgisnacht für eine große Party. Viele meinen, von dem Ort gehe eine besondere Kraft aus. Mag sein, dass da was dran ist, aber zumindest war der Heiligenberg schon immer ein "heiliger" Ort, es finden sich Spuren von Kelten und eines römischen Tempels sowie zwei Klosterruinen.

Doch zurück zur Thingstätte, sie ist eigentlich kein normales Bauwerk. Denn sie wurde im Dritten Reich als Ort zur Durchführung von Thingspielen errichtet. Hier versuchten die Nazis die Menschen für ihre Ideologie zu begeistern, sie war ein Ort der Verführung. Daher wurde die Thingstätte auch am 22. Juni 1935, dem Tag der Sommersonnenwende eingeweiht. Zu dieser kam sogar der Reichspropagandaminister Goebbels nach Heidelberg. Dies unterstrich die besondere Bedeutung, die der heidelberger Thingstätte beigemessen wurde.

Wie versuchten nun die Nazis die Menschen zu begeistern? Nun dazu eignet sich mal ein Blick in die Ansprachen von der Weihefeier der Thingstätte. Als Beispiele habe ich zwei ausgewählt.

Auszug aus der Ansprache des Heidelberger Oberbürgermeisters Dr. Neinhaus:
"In den kurzen Jahren, die nach der nationalsozialistischen Revolution ins Land gegangen sind, hat die Stadt Heidelberg zwei große weithin sichtbare Werke geschaffen: den Ehrenfriedhof auf den Hängen südlich des Neckar, die Thingstätte auf den Bergen nördlich des Tals. Beide auf lichtumspülten, waldumrauschten Bergen gelegen, näher den Wolken und Sternen, geformt aus heimischer Erde und heimischem Stein, beide des gleichen heißen nationalsozialistischen Glaubens und Wollens gestalteter Ausdruck.

Der Ehrenfriedhof: geweiht dem Gedenken an unsere gefallenen Helden, die Thingstätte: bestimmt und heute bereit zur Aufnahme der großen richtungsgebenden Feiern der Bewegung. Der Ehrenfriedhof, errichtet zur Bewahrung des letzten ruhmreichen Stückes deutscher Vergangenheit, die Thingstätte zur Gestaltung deutscher Zukunft berufen. Der Ehrenfriedhof, geweiht der Generation der Soldaten des großen Krieges, die Thingstätte, geweiht den lebenden Trägern der Bewegung und des Volkes, vor allem aber seiner Jugend. ...
"

Auszug aus der Ansprache von Goebbels:
"... Mit diesem monumentalen Bau haben wir unserem Spiel und unserer Lebensauffassung einen lebendigen plastischen und monumentalen Ausdruck gegeben. In hunderten von Jahren noch werden die Menschen an diesen Steinen die Gestaltungskraft unserer Zeit ablesen können und bewundernd still stehen vor den Menschen, die das geschaffen haben. Denn man muß Unmögliches wagen, um großes zu vollbringen. Man muß sich der Kühnheit und der verwegenen Vermessenheit hingeben, um Werke zu vollenden, die Jahrhunderte überdauern. ...

Diese Stätten sind in Wirklichkeit die Landtage unserer Zeit! Von diesen Steinen aus wird das neue kulturelle Leben Deutschlands entspringen. Denn die Kultur, die wir wollen, gehorcht keinem Kommando, sondern im ewigen Wachstum wird sie sich entwickeln müssen, und niemand darf glauben, sie dadurch zum Reifen zu bringen, daß er eine Lampe darunter hält. Es wir einmal der Tag kommen, wo das deutsche Volk zu diesen steinernen Stätten wandelt, um sich auf ihnen in kultischem Spiel zu seinem unvergänglichen neuen Leben zu bekennen. ...
"

Ich denke, diese Auszüge sollten genügen, um euch einen kleinen Einblick in die Nazipropaganda zu geben. Für die Nazis waren die Thingstätten so etwas wie Kirchen. Auch der Weg zur Thingstätte entsprach einer Art Wallfahrt zu den Stätten des Nationalsozialismus, er war straff durchgeplant. Wie das konkret aussah, dazu ein Auszug aus der Heidelberger Zeitung zum Verhalten bei den ersten Thingspielen.

"... Von 19:45 Uhr bis zum Beginn des Spiels muß das Publikum - genau wie während des Spiels und des Aufenthalts überhaupt - ein dieser Stätte würdiges Verhalten an den Tag legen. Es geht nicht an, daß auf der Thingstätte geraucht wird, oder Papier und andere Reste weggeworfen werden, daß man sich laut unterhält oder über mehrere Sitzreihen hinwegruft, pfeifft und anderen Lärm verursacht. Auch noch so gut gemeinte Beifallsbezeugungen sind unter allen Umständen zu unterlassen. ..."

Ganz so sieht das ja heute nicht mehr aus, wenn ich mich so auf der Thingstätte umsehe. Da darf auch schon mal die Akustik getestet werden (wenn ihr auf der Bühne etwas in Zimmerlautstärke sprecht, hört ihr es ohne Mikrofone auf den oberen Sitzreihen) und vereinzelt liegt auch Müll herum. Aber irgendwie schwebt immer noch der Geist des Nationalsozialismus über diesem Ort. Ja es ist ein besonderer Platz, hier fanden Propagandaveranstaltungen für eine menschenverachtende Ideologie statt. Hier lässt sich vielleicht auch erahnen, warum die Menschen sich haben dafür begeistern lassen.

So jetzt bin ich am Ende meiner Ausführungen angekommen. Sollte sich jetzt der eine oder andere für die Thingstätte interessieren, hinfahren lohnt sich. Es gibt auf dem Heiligenberg wie bereits erwähnt noch mehr alte Gemäuer zu sehen. Gerade am Wochenende ist er ein beliebter Treffpunkt, nicht nur für Liebhaber alter Gemäuer. Wenn ihr noch mehr über die Geschichte der Thingstätte und die Thingspiele wissen wollt, schreibt mir, ich habe da noch mehr Infos auf Lager.

Autor: mohan
Erstellt am: 2002-04-19



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